Die Lichter im Wald

Bei einem mitternächtlichen Spaziergang hat eine junge Hundebesitzerin eine schaurige Begegnung im Düvelshöpener Wald.

Foto: jakub kriz

Foto: jakub kriz

Es war die Nacht zu Halloween. Annika zog den Reißverschluss ihres Mantels etwas höher und griff mit der rechten Hand die Leine ihrer Beagle-Hündin Bella fester. Vom sternenklaren Nachthimmel leuchtete der Vollmond blass auf den schmalen Kiesweg herab, auf dem sie in Richtung Düvelshöpen unterwegs war.Eigentlich hatte sie heute früher mit Bella spazieren gehen wollen, aber dann hatte sie länger arbeiten müssen als üblich, also war es nun mittlerweile fast Mitternacht und die Luft klirrend kalt. Normalerweise trug sie eine Taschenlampe bei sich, wenn sie so spät noch Gassi ging, aber die Batterien waren leer und so hoffte sie einfach, dass der Mondschein auch noch im Wald den Weg erleuchten würde. Annika vergrub ihre Hand in der Jackentasche, ihr Atem war in der klirrend kalten Nachtluft zu sehen. Wann war es so kalt geworden?

Bella zog etwas fester an der Leine, als Annika der Hündin schließlich in den Düvelshöpen folgte. Ein bisschen mulmig war ihr schon zumute bei dem Gedanken, alleine im dunklen Wald unterwegs zu sein, aber Annika sagte sich, dass sie keine Angst haben musste, solange sie ihre Hündin bei sich hatte. Ihre Hoffnung, der Mond würde auch die Waldwege erleuchten, stellte sich allerdings als falsch heraus - es war stockfinster im Düvelshöpen und fast schon unheimlich still, bis auf das leise Rascheln der Blätter unter ihren Füßen und dem Pfeifen des Herbstwindes in den Bäumen. In der Ferne war das Plätschern des Baches zu hören.

Annika versuchte, ihre Gedanken auf ein positives Thema - die bald nahende Weihnachtszeit - zu lenken, als sie plötzlich ein Geräusch vernahm, das nicht in den nächtlichen Wald passte: Dumpfe Schläge, die sich in rhythmischer Folge wiederholten und immer lauter wurden.

Foto: pavel lozovikov

Foto: pavel lozovikov

Sofort blieb Annika stehen und rief Bella zu sich. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie spürte, wie sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete. Das Geräusch ebbte ab und sie wartete noch einen Moment ab, ehe sie sich langsam wieder in Bewegung setzte. Vielleicht hatte sie sich das einfach nur eingebildet, schließlich war hatte sie einen langen Tag hinter sich.Trotzdem blieb Annika weiterhin aufmerksam, während sie dem Waldweg folgte und Bella im Blick behielt, der die ganze Situation nichts auszumachen schien. Sie schnupperte weiterhin an den Farnen und Baumstämmen und war nicht annähernd so besorgt wie ihr Frauchen.

Doch dann kehrten die Geräusche noch lauter als zuvor zurück, und dieses Mal fing Bella an zu winseln und sich hinter der stehengebliebenen Annika zu verstecken. Der war mittlerweile eiskalt geworden, obwohl die Finger, die die Leine ihrer Hündin umklammerten, schweißnass waren.„Ist da jemand?“, rief Annika in den Wald, die Stimme zittrig. Es kam keine Antwort und sie hörte weiterhin diese Geräusche, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen. Auf einmal blitzte es mehrmals hintereinander am Himmel auf und Annika beschloss: Die Gassirunde konnte sie auch im Wohngebiet zu Ende bringen. Von einem Ufo einsaugen lassen wollte sie sich jedenfalls ganz sicher nicht.Annika drehte sich gerade um, um den Weg zurück anzutreten, als Bella plötzlich einen Satz nach vorne machte. Vor Schreck ließ Annika die Leine los und konnte gerade noch Bellas Namen rufen, bevor die Hündin davonschoss, mitten hinein in die Dunkelheit.

Annika konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, wusste aber, dass sie ihren Hund auf gar keinen Fall alleine im Wald lassen konnte. Also rannte sie Bella durch das Dickicht hinterher, sie erkannte ihren Hund schemenhaft vor sich, und rief immer wieder nach ihr. Die Rhythmen wurden immer und immer lauter und dazu gesellten sich plötzlich Gesänge, die aus allen Richtungen zu kommen schienen. Annika fühlte sich wie in einem Horrorfilm gefangen, während ihre Jacke und ihre Hose von den Ästen zerkratzt wurden, bei dem Versuch, Bella wieder einzufangen. Hinter jedem Baum schien sich etwas zu verbergen und mehrmals hatte Annika das Gefühl, jemand atmete in ihren Nacken, woraufhin sie noch schneller rannte.

Es gelang ihr schließlich, die Hündin zu erreichen, und sie griff nach der Leine, bevor sie den Hund, der am ganzen Leib zitterte, mit ein paar Streicheleinheiten beruhigte. Währenddessen blitzte es am Himmel und sie erkannte auch durch die Bäume Lichter, die schienen. Der Lärm war mittlerweile fast unerträglich laut.

Foto: rosie sun

Foto: rosie sun

Foto: nima mot

Foto: erin minuskin

Foto: nima mot

Foto: erin minuskin

Auf einmal hörte sie neben sich ein Knacken. Ihr Kopf fuhr herum und sie sah eine dunkle Gestalt auf sich zukommen, den Arm erhoben, mit einem Gegenstand in der Hand. Überrascht schrie Annika auf und stolperte zurück, wobei sie fast hinfiel und sich im letzten Moment noch an einem Baumstamm festhalten konnte. Die Person kam immer näher und Annika hörte, dass es ein Mann war, der mit sich selbst redete. „Keinen Schritt näher!“, rief sie aus, mit zitternder Stimme, die verriet, wie viel Angst sie in diesem Moment hatte.

Der Typ blieb stehen und Annika sah, dass er eine Flasche in der Hand hielt, aus der er einen Schluck nahm. „Was is’n?“, fragte er. „Nicht näherkommen!“„Ich will dir doch gar nichts tun“, entgegnete der Typ, der tatsächlich stehen geblieben war und Annika belustigt musterte. „Biste nicht auch von der Party?“„Party?“ Annika war verwirrt und wandte den Blick von ihm ab. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie war durch den halben Düvelshöpen gerannt und stand fast schon beim Schützenhaus, wo heute Abend eine Halloween-Party stattfand. Die rhythmischen Geräusche, die sie gehört hatte, waren Bässe gewesen und die Lichter war die Beleuchtung der Halle.

Foto: mel poole

Foto: mel poole

Annika musste plötzlich lachen. Das hatte sie davon, wenn sie am Abend vor Halloween spazieren ging und sich von ihrer Fantasie in die Irre führen ließ! Während in der Ferne die Kirchenglocken Zwölf schlugen, nahm sie sich vor, nächstes Mal ihre Handytaschenlampe zu benutzen - oder vielleicht das Wochenblatt zu lesen, um über die Geschehnisse in Tostedt informiert zu sein.

Das WOCHENBLATT wünscht ein schaurig-schönes Halloween!

Story: Emily Heidrich

Editor: leo

Bilder: Unsplash

Erzähler: sra